Jharana – einwandfrei anfallsfrei

Zu viele Krampfanfälle

Zu viele Krampfanfälle

Jharana hatte einen schwierigen Start in dieser Welt. Ihre Mutter, bei der Geburt 19 Jahre alt, erzählt, dass sie damals fünf Tage lang Wehen hatte. Zwei Tage davon verbrachte sie im Health Post und wurde von der Vorgängerin von Laxmi (der jetzigen Hebamme) betreut. Auch die Geburt verlief schwierig, aber so genau kann und will sie sich daran nicht erinnern.

Als sie Jharana zu uns bringt, ist das Mädchen zwei Jahre alt. Sie spricht nicht, kann aber an der Hand ihrer Mutter laufen. Der Grund der Vorstellung klingt schwerwiegend: Jharana falle zum Teil mehrmals am Tag plötzlich um, sei nicht mehr ansprechbar, verdrehe die Augen, so dass man nur noch das Weiße der Augen sehe, zucke mit Armen und Beinen und laufe blau an. Nach 5 bis 10 min sei der Spuck vorbei und sie spiele weiter, als sei nichts gewesen. Manchmal schlafe sie danach auch ein. Kurz: seit ihrem ersten Geburtstag hat Jharana fast täglich einen Krampfanfall, an manchen Tagen sogar bis zu vier.

Ich vermute, dass das Problem mit einer Sauerstoffunterversorgung kurz vor oder während der schwierigen Geburt zu tun hat, denn auch schon bevor die Krampfanfälle angefangen haben, hat sich Jharana nicht richtig entwickelt. Ihre Mutter erzählt, dass sie erst mit 12 Monaten Sitzen gelernt habe und außer „Mama“ und „Papa“ nicht spreche. In der Familie von Mutter und Vater habe keiner eine Epilepsie. Unabhängig von der Ursache, entscheide ich, dass Jharana mit Medikamenten geholfen werden muss, damit ihr offenbar sowieso schon beeinträchtigtes Gehirn nicht durch tägliche Phasen, in denen sie zu wenig atmet (blau anläuft), zusätzlichen Schaden nimmt. Da die Apotheke des Health Posts nur die wichtigsten Medikamente verkauft und es dort keine antiepileptischen Tabletten gibt, können wir jedoch nicht gleich mit der Therapie anfangen.

Als ich die Medikamente einen Monat später besorgt habe und hochmotiviert bin, der Mutter die nicht ganz einfache Behandlung zu erklären, erzählt sie plötzlich, dass Jharana seit unserem letzten Treffen nur einen einzigen Krampfanfall gehabt habe. Das verunsichert mich, denn zuvor scheint sie ein Jahr lang ganz regelmäßig dieses Problem gehabt zu haben. Ich befürchte, dass ich vielleicht beim letzten Mal durch die Sprachbarriere und die möglicherweise ungenaue Übersetzung etwas nicht richtig verstanden habe. Wir gehen alles noch einmal im Detail durch, aber es bleibt eigentlich kein Zweifel: Jharana hat Krampfanfälle. Ich beschließe trotzdem mit der Behandlung noch zu warten und mich bei dem Neuropädiatrischen Chefarzt in Freiburg zu erkundigen, ob auch bei einer Anfallshäufigkeit von nur einem Anfall pro Monat eine Behandlung mit all ihren möglichen Nebenwirkungen indiziert ist. In der Zwischenzeit soll die Mutter ein „Anfallstagebuch“ führen, damit wir beim nächsten Mal genau wissen, wieviele Anfälle stattgefunden haben. Als Bishnu ihr unsere „Hausaufgabe“ erklärt, stellt sich heraus, dass Jharanas Mutter nicht lesen und schreiben kann. Das ist nicht ungewöhnlich, insbesondere bei Frauen in den ländlichen Gebieten von Nepal. Die Familie gehört zur untersten Kaste, den Chetris. Diese Familien sind häufig so arm, dass sie ihre Kinder zum Arbeiten brauchen und nicht, oder nur kurz, in die Schule schicken. Ich male also einen Kalender und erkläre Jharanas Mutter mit der Hilfe von Bishnu, dass jedes Feld für einen Tag steht, jede Zeile für eine Woche und dass sie an dem Tag, an dem ein Krampfanfall auftritt, ein Zeichen in das entsprechende Feld malen soll. Ich bezweifle, dass das Ganze klappt, aber einen Versuch ist es allemal wert.

Prof. Korinthenberg aus Freiburg, antwortet auf meine Anfrage mit einer sehr netten Email und schreibt, dass ich auf jeden Fall mit der Therapie beginnen soll. Als Jharana und ihre Mutter einen Monat später wieder in den Health Post kommen, bin ich begeistert, als ich ein Kreuzchen in einem der Felder auf dem Kalender sehe. Offenbar hat die Mutter verstanden, um was es mir geht. Immer noch irritiert davon, dass die Anfälle so drastisch nachgelassen haben, erkläre ich ihr nun ausführlich wie die Medikamente verabreicht werden sollen und dass auf gar keinen Fall auch nur ein Tag ohne Medikamente vergehen darf. Wir vereinbaren einen Kontrolltermin vier Wochen später. Das Anfalltagebuch soll sie weiterführen.

Endlich anfallsfrei

Endlich anfallsfrei

Als ich Jharana das letzte Mal vor meiner Abreise sehe, sind knapp 2 Monate seit dem Beginn der Therapie vergangen und sie hat seither keinen einzigen Krampfanfall mehr gehabt. Auch Nebenwirkungen konnte die Mutter nicht feststellen. Ich freue mich sehr über den Erfolg. Jharana wird es auch ohne Krampfanfälle noch schwer genug haben im Leben.

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