Banjhakateri

Längst ist es an der Zeit, über das vorläufige Ziel unserer Reise – das kleine Dorf Banjhakateri, 2 Tagesreisen westlich von Kathmandu, zu berichten.

Das fällt ehrlich gesagt nicht so leicht, denn Nepal im allgemeinen und Banjhakateri im speziellen ist für uns nicht irgendeine Durchreisestation, sondern das Ziel unserer Reise und das Land, in dem wir viele Monate verbringen und so eng wie nirgendwo sonst mit den Menschen in Kontakt kommen. Entsprechend zahlreicher und intensiver sind die Eindrücke und entsprechend schwerer fällt die Auswahl.

Nepal kann man geographisch in drei sehr unterschiedliche Regionen einteilen. Im Süden zwischen der indischen Grenze und den Middle Hills liegt das Terai (flach, tropisch, hier gibt es Nationalparks mit Elefanten, Nashörner und Tiger). Im Norden an der Grenze zu Tibet liegt das Himalayagebierge, der wohl bekannteste Teil Nepals. Dazwischen liegen die Middle Hills, ein bergiges Gebiet mittlerer Höhe  – hier liegt Kathmandu (1300 m) und weiter westlich auch Banjhakateri (1900 m), das Dorf, in dem der Verein Brepal e.V. mit Hilfe von Spendengeldern aus Deutschland einen Gesundheitsposten betreibt.

It's a long way to Banjhakateri!

It’s a long way to Banjhakateri!

Die Anreise nach Banjhakateri (um nicht zu sagen das Reisen in Nepal allgemein) ist abenteuerlich. Der Teer endet nach einer langen Tagesreise in Thamghas (Distrikt Gulmi). Von dort geht es am nächsten Tag weiter über unbefestigte Naturwege, mal im Flussbett entlang, mal hoch am Hang, sozusagen über Stock und Stein. Dass hier während der Regenzeit wochenlang kein Durchkommen mehr ist, kann man sich sehr gut vorstellen. 4 Stunden quält sich unser schwer beladener Jeep bis wir das Dorf endlich erreichen. Vergleichsweise komfortabel ist diese erste Anreise mit dem Auto, denn normalerweise muss man von der “Endhaltestelle” des Busses noch 10 km und 1000 Höhenmeter laufen.

Banjhakateri besteht aus insgesamt 9 Teilorten, die über mehrer Hügel verteilt sind. Der Gesundheitsposten und „unsere Hütte“ liegen wahrlich traumhaft, hoch am Hang mit Sicht über die umgebenden Reisterassen und das Tal. Als wir aus dem Jeep steigen, werden wir im wahrsten Sinne des Wortes mit Pauken und Trompeten empfangen: etwa 200 der ungefähr 7000 Dorfbewohner haben sich auf dem Platz hinter dem Gesundheitsposten versammelt und tanzen, singen und musizieren, um unsere Ankunft zu feiern. Ein unvergesslicher Empfang, auch wenn wir uns nach der langen Reise von der Aufforderung mitzutanzen etwas überfordert fühlen. Das Brepal-Team (und unsere “Familie auf Zeit” für die nächsten Monate) stellt sich uns vor: Bishnu, der Medical Assistant, er ist in Banjhakateri geboren und hat eine 3-jährige allgemeinmedizinische Ausbildung im Kathmandutal absolviert, die es in dieser Form nur in Nepal gibt, für sein junges Alter (26) hat er schon viel medizinische Erfahrung; er ist Leiter des Gesundheitspostens. Laxmi (22) kommt aus einem Nachbardorf und ist seit einem Jahr die Hebamme und Apothekerin des Gesundheitspostens. Ganga (23) ist Landwirtschaftsexperte und kommt aus dem Osten von Nepal, er soll der Bevölkerung von Banjhakateri beibringen, wie man möglichst viele verschiedene selbst angebaute Gemüsesorten auf den täglichen Speiseplan bringt, um Mangelernährung vorzubeugen bzw. zu bekämpfen. Yamlal (22) ist in Banjhakateri geboren und hilft im Gesundheitsposten wo er nur kann, von der Verpflegung des gesamten Teams bis zum Sterilisieren des chirurgischen Bestecks.

Unsere Hütte, Open-Air Dusche und Bauplatz

Unsere Hütte, Open-Air Dusche und Bauplatz

Das Alltagsleben in Banjhakateri und damit auch unser Alltagsleben ist sehr einfach. Die Lehmhütten haben zwar Fenster, aber keine Scheiben. Öfen zum Heizen gibt es nicht, denn das Brennholz ist rar und dem Kochen vorbehalten. Gekocht wird über dem offenen Feuer in der Hütte oder auf kleinen Lehmöfen. Das Leben in den Hütten spielt sich auf dem Boden ab, Stühle und Tische gibt es nur bei uns „Westlern“. Das Wasser kommt aus Schläuchen, die im Gras liegen (und zu Quellen weiter oben in den Bergen führen), dort wird getrunken, gewaschen, abgefüllt. Nicht jeder hat ein eigenes Plumpsklo, man teilt es sich mit mehreren Familien. Händehygiene – eines der wichtigen Gesundheitsthemen – scheitert häufig an den langen Wegen zwischen den Klos und dem nächsten Wasserschlauch (von Seife ganz zu schweigen). Für uns „Westler“ gibt es eine Open-Air-Bambus-Dusche auf der Wiese hinter unserer Hütte. Zum Duschen kochen wir jetzt im Winter Wasser und schütten es mit kleinen Schälchen über uns – ein mittelmäßiges Vergnügen, wenn die Umgebungsluft unter 10 Grad „warm“ ist. Die Banjhakateris setzen sich dazu in ihren Garten und schrubben sich einfach mit Wasser ab. Strom gibt es von ungefähr 18 Uhr bis 6 Uhr. Er wird durch ein kleines Wasserkraftwerk (Microhydro) am nahegelegenen Fluss erzeugt und jede Hütte darf max. 5 Energiesparlampen betreiben. Außerdem kann man sein Handy über Nacht laden und manchmal schauen Micha und ich quasi illegalerweise abends einen Film über den Laptop. Stromintensivere Geräte wie Kühlschrank, Drucker, Haarfön würden das Netz sofort überlasten. Die Lebensumstände in Banjhakateri sind repräsentativ für den überwiegenden Teil der Bevölkerung in Nepal.

Mission PV completed!

Mission PV completed!

Von den Handys abgesehen sind das nahezu mittelalterliche Bedingungen, die natürlich Auswirkungen auf die Menschen und ihre Lebensumstände haben. Die meiste Zeit des Tages sind sie neben Kochen und Waschen mit Holz- und Grassammeln sowie Reis- und Rettichanbau beschäftigt. Alles wird von Menschen über Berg und Tal geschleppt, Tiere sind nur Milch- bzw. Fleischlieferanten. Im Hinduismus zählen Esel zu den unreinen Tieren, und daher werden sie hier nicht als Lasttiere eingesetzt, für uns eine Überraschung, da wir seit der Osttürkei in jedem Land über die Esellogistik gefreut haben. Entsprechend viele erwachsene Patienten im Gesundheitsposten kommen wegen chronischer Schmerzen – die Behandlung gestaltet sich schwierig, da sie sich ja nicht schonen können. Überschüsse werden kaum produziert; was angebaut wird, wird  größtenteils selbst verzehrt. Der lokale Tageslohn, z.B. für einen Tag Steineschleppen, liegt bei 2,5 Dollar. Geld fließt eigentlich nur aus dem Ausland nach Banjhakateri: sehr viele Männer zwischen 20 und 45 arbeiten in Kathmandu, Indien oder den Golfstaaten unter zum Teil sehr harten Bedingungen, da sie im ländlichen Nepal keine Perspektive für sich sehen. Die Folge ist, dass viele Kinder ohne ihre Väter aufwachsen, dass die Frauen sich um Haushalt, Tiere, Reisanbau und die vielen Kinder alleine kümmern müssen, dass kranke Kinder oft von Nachbarskindern oder Großeltern zum Gesundheitsposten gebracht werden, was die Erhebung der Krankengeschichte dann sehr schwierig macht. Die Folge ist aber auch, dass jeder jedem hilft, die Frauen eine starke Gemeinschaft bilden und die Großeltern, die immer in der gleichen Hütte mit ihren Enkeln leben, bis ins hohe Alter mitanpacken.

Alltag in Nepal: Gras schleppen für die Tiere

Alltag in Nepal: Gras schleppen für die Tiere

Einen kleinen Aspekt der Lebensumstände hoffen wir zu verbessern, indem wir mit unserer Demo-Biogasanlage am Gesundheitsposten den Menschen die Vorteile dieser Technologie zeigen. Dank staatlicher Förderung können mit überschaubarem finanziellen Aufwand viele gesundheitliche, ökonomische und ökologische Vorteile erzielt werden: für das Kochfeuer muss kein Feuerholz mehr gesammelt und geschleppt werden, Bio- oder Methangasfeuer sind rauchfrei, weniger Wald wird gerodet und dadurch Erosion vorgebeugt. Kühe sind im Hinduismus heilig, und daher ist der Umgang mit Kuhdung eine würdevolle Aufgabe. Das trägt wesentlich zur Akzeptanz dieser Anlagen bei. Und ganz nebenher ist das “Abfallprodukt” der Anlage hochwertiger organischer Dünger.

Glückliche Mutter mit gesundem Kind

Glückliche Mutter mit gesundem Kind

Jetzt in der kalten Jahreszeit kommen viele Kinder, wie in Deutschland auch, wegen Luftwegsinfekten (von Schnupfen bis zu schwerer Lungenentzündung) in den Gesundheitsposten. Alle Krankheiten, die mit mangelnder Hygiene zu tun haben, sind auch häufig anzutreffen: Hauterkrankungen, Karies, Würmer, Parasiten, Durchfall. Unfälle (mit der Grassichel oder dem traditionellen Khukri-Messer), Verbrennungen und Stürze sind gefürchtet, denn das nächste Krankenhaus in Thamghas ist selbst im besten Fall (Jeep) 4 Stunden entfernt. Extreme Unterernährung wie in Afrika gibt es hier zum Glück nicht, aber Mangelernährung und Untergewicht sind nicht selten. Seit Michael und Sebastian im Dezember die Photovoltaik-Anlage aufgebaut haben, können wir einen Kühlschrank zur Lagerung von Impfstoffen betreiben. Ab nächster Woche soll das Impfprogramm starten. So können wenigstens durch Impfung zu verhindernde Krankheiten vermieden werden.

Als „Krankenhausärztin“ kann man hier einiges lernen, zum Beispiel mit allen Sinnen zu untersuchen, die wahrscheinlichste Diagnose anzunehmen und nicht über die vielen Kolibri-Erkrankungen nachzudenken, die im Lehrbuch auch noch erwähnt werden, der Wirkung von Medikamenten zu vertrauen, auch wenn sie nicht als Infusion gegeben werden können und immer wieder zu merken, dass der menschliche Körper sehr sehr viel aushält. Die Arbeit macht mir großen Spass. Als Kinderarzt ist man gewohnt, dass man sich mit seinen Patienten oft nicht unterhalten kann und so stört mich die Sprachbarriere nur bei den komplizierten Fällen. Ich bewundere die Mütter, die trotz ihrer vielen Arbeit zum Teil stundenlang zum Gesundheitsposten gelaufen kommen und die Kinder, die so gut wie nie weinen und alle Untersuchungen tapfer mitmachen.

Trotzdem habe ich den Eindruck, dass einige kranke Kinder gar nicht zum Gesundheitsposten gebracht werden, denn manche Krankheiten, die es hier auch geben müsste, sehe ich nie. Ob dahinter fehlendes Vertrauen in die Schulmedizin oder fehlendes Wissen darüber, dass die Krankheiten behandelbar sind, stehen, weiß ich nicht. Aber insbesondere die Geburten werden überwiegend zuhause, oft sogar traditionell im Tierstall, durchgeführt. Nepal hat nicht von ungefähr in ganz Südostasien die höchste Müttersterblichkeit und eine der höchsten Kindersterblichkeiten (was Kinder unter 5 Jahre einschließt). Umso wichtiger ist es, dass Brepal gerade ein neues Gebäude für den Gesundheitsposten in Banjhakateri baut. Darin wird es einen großen Geburtsraum geben, der hell ist und warm gehalten werden kann. Ich hoffe, dass sich dann immer mehr Frauen dazu entschließen ihre Kinder dort zu bekommen.

Der Bauplatz des neuen Health Posts

Der Bauplatz des neuen Health Posts

Der Neubau des Gesundheitspostens ist bereits in vollem Gang. Da er direkt hinter unserer Hütte stattfindet, können wir jeden Tag sehen, wie es vorangeht. Vor Beginn der Regenzeit im Mai muss das Dach fertig sein. Die geographische Lage von Banjhakateri macht das ganze Unternehmen nicht gerade leichter – das Baumaterial muss von weit her geholt werden und wird dadurch entsprechend teuer.

Während bisher keine Patienten über Nacht im Gesundheitsposten bleiben konnten, wird es im Neubau ein paar Betten für Gebärende oder Patienten geben, die Infusionen brauchen, nicht mehr nach Hause gehen oder erst am nächsten Tag ins Krankenhaus transportiert werden können. Neben dem erwähnten Geburtsraum wird es außerdem einen OP geben, in dem Operationscamps von nepalischen und ausländischen Ärzten durchgeführt werden können.

Es ist schön zu sehen, dass sich was tut in Banjhakateri, dass Brepal in kleinen Schritten versucht, den Menschen eine bessere Perspektive zu schaffen und dass wir für eine Weile dabei mithelfen können. Denn im Großen tut sich in Nepal leider nicht viel.

 

Nepal in Zahlen:

  • Bevölkerung: geschätzt ca. 30 Millionen (Deutschland: ca. 82 Millionen)
  • Fläche: ca. 150.000 qkm (Deutschland: ca. 360.000 qkm)
  • Durchschnittsalter: 21 Jahre (Deutschland: 44 Jahre)
  • Religion: 81% Hindu, 11% Buddhisten (Deutschland: 60% Christen, 30% konfessionslos, 5% Muslime)
  • UN-Development Index: 157 (von 187) (Deutschland: 5)
  • Öffentliche Ausgaben für Gesundheit 2010: 1,8% des GDP  (Deutschland: 8% des GDP)
  • Durchschnittliche Lebenserwartung: ca. 66 Jahre (Deutschland: ca. 81 Jahre)
  • Kindersterblichkeit (bis zum 5. Lebensjahr) 2010: 141 von 1000 lebend geborenen Kindern (Deutschland: 4 von 1000)

Posted from Dhurkot Rajasthal, Western Region, Nepal.

2 thoughts on “Banjhakateri

  1. So super! Ich lese Eure Berichte total gerne und bewundere Euren Mut!!! Viele liebe Grüße 🙂

  2. Danke, dass Ihr uns teilhaben lasst an dem Projekt. Durch die Stimmungsbilder ist es so, als würden wir ein Stück weit mitreisen und einiges miterleben, wenn auch nur in unserer Vorstellung und aus der Ferne.
    Und in der Vorstellung begleiten mich Eure Berichte auch manchmal im Berufsalltag oder bei einem Spaziergang durch den Park. Und vieles relativiert sich, wenn ich mir vor Augen führe, wie nah an der Basis man arbeiten kann, und wie weit weg ich mich manchmal im Krankenhaus von den wirklichen Bedürfnissen unserer Gesellschaft befinde. Wünsche Euch weiterhin viel Schwung, Mut und auch Freude an Eurer Arbeit.

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