Die Lost Valleys von Nar-Phoo

Nördlich des Annapurnas, an der Grenze zu Tibet, liegen die Täler von Nar und Phoo. Durch die Lage im Monsunschatten des Himalaya-Hauptkammes ist es hier sehr trocken, die Nepalis nennen die Gegend von hier bis Mustang auch ihre “Wüste”. Das wenige Regenwasser hat über Jahrtausende der Erosion spektakuläre Gesteinsformationen geschaffen und die Gletscherflüsse haben sich zu tiefen Canyons in das weiche Gestein eingeschnitten. Am nahen Horizont sind die Sieben- und Achttausender-Gipfel von Manaslu und Annapurna zu sehen.

Ein alter Spinner, Phoo

Ein alter Spinner, Phoo

Der Norden Nepals ist Heimat der buddhistischen, tibet-stämmigen Volksgruppen. Aus unterschiedlichen Gründen kamen die Menschen über die hohen Himalayapässe nach Süden: Schon immer gab es weitreichende Handelsbeziehungen zwischen Tibet, Nepal und Nordindien, und manche Händler blieben einfach im wärmeren Süden hängen. Später siedelten die Menschen auf der Suche nach Weide- und Ackerland in den fruchtbaren Tälern und kargen Höhen Nepals. Nach dem Aufstand in Tibet im Jahre 1959, in dessen Folge der Dalai Lama ins Exil nach Indien gehen musste, schwoll der Strom der Flüchtlinge an. In mehreren Wellen kamen immer mehr Tibeter, die vor den Aufstandswirren und den Vergeltungsmaßnahmen der chinesischen Herrscher flohen. Viele der aufständischen Khampa-Rebellen ließen sich auch in der Gegend von Nar-Phoo nieder, wo sie Dörfer gründeten, die heute aber verlassen sind. Und bis heute kommen noch Tibeter nach Nepal, viele davon jedoch nur vorübergehend und meist, um hier eine traditionelle tibetanische Bildung zu erhalten.

Bis vor wenigen Jahren war das Gebiet nördlich des Annapurna-Circuits für Ausländer gesperrt, wohl wegen der Nähe zur tibetischen Grenze. Heute kann man diese ‘restricted areas’ besuchen, allerdings benötigt man noch immer ein spezielles Permit und einen nepalesischen Guide. Wir engagieren Raj, einen netten Guide, den wir in Lang Tang kennengelernt haben, um die ‘Lost Valleys’ von Nar-Phoo zu besuchen.

Früher konnte man hier in Ermangelung von Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten nur organisierte Camping-Touren machen. Heutzutage gibt es eine Infrastruktur von einfachen Teahouses in den Dörfern Meta, Nar und Phoo. Durch die weiten Distanzen zwischen den Dörfern sind die Tagesetappen mit meist 7-9h allerdings relativ lang. Die Wege führen zwar immer grob am Fluss entlang, steigen aber manchmal einige hundert Meter über den Fluss, nur, um gleich wieder zum Fluss abzufallen. Weiter oben überquert man in einem anstrengenden Auf und Ab eine Vielzahl von Gletschermoränen. So legt man deutlich mehr Höhenmeter zurück, als ein kurzer Blick auf die Karte vermuten lässt. Für die Anstrengungen entschädigen aber spektakuläre Blicke zurück auf Annapurna II und IV und das Gefühl, in einer völlig anderen Welt gelandet zu sein.

Phoo

Phoo

Die wenigen Dörfer, durch die man kommt, muten allesamt mittelalterlich an. Der Baustil hier ist gänzlich anders als im restlichen Nepal. Man baut mit Flachdach, die Häuser stehen dicht beisammen und bilden recht kompakte Dörfer. Fließend Wasser und Strom sind hier noch nicht angekommen, nur kleine Solarzellen auf einigen Häusern sind die Vorboten der Moderne. Die Menschen hier nutzen Pferde zur Fortbewegung – auch eine Besonderheit dieser Region Nepals, und lange Yak- und Mulikarawanen bringen Vorräte nach oben.

Tagsüber sind wir recht einsam unterwegs, sehen nur wenige Einheimische und gar keine Touristen, eine ganze Woche lang. Abends am Herdfeuer kommen wir dafür umso näher an die Locals, da wir nicht in die ‘Dining-Rooms’ der Herbergen abgeschoben werden: Am Herdfeuer lauschen wir dem fremden Tibetisch, das auch unser Guide nicht versteht, trinken frisch gestampften Buttertee und Chang, das lokale Bier.

Ein besonderer Kontrast fällt uns auf: Während das Leben in diesen Höhen auch heutzutage noch sehr einfach ist und nach traditionellen Mustern abläuft, haben die Leute hier auf einmal iPhones, obwohl es kein Mobilfunknetz gibt, erzählen uns von der Zweitwohnung in Kathmandu und die junge Generation trägt moderne teure Kleidung und gute Schuhe. Auch die neugebauten Lodges sind riesig, und wir fragen uns, woher dieser Wohlstand für Konsum und Investitionen kommt. Die Antwort ist einfach.
Yarsa Gumba.

Der ‘Chinesische Raupenpilz’ spielt in der traditionellen chinesischen Medizin eine große Rolle. Ihm werden heilende Kräfte zugeschrieben, auch gegen Krebs soll er helfen. Der wichtigste Grund für die große Nachfrage nach Yarsa Gumba dürfte allerdings ein anderer sein: Der Konsum des Pilzes soll Libido und sexuelle Ausdauer steigern, daher auch der Name ‘Himalayan Viagra’. In Hong Kong wird ein Kilo derzeit für 40.000 Euro gehandelt, 30% teurer als Gold! Yarsa Gumba wird hauptsächlich im tibetanischen Hochland gefunden und hat die dortige Ökonomie nachhaltig verändert. Etwa ein Viertel der tibetanischen Wirtschaftsleistung basiert auf der Sammlung von Yarsa Gumba, in manchen Regionen steigt das auf über 90%. Auch im benachbarten Nepal in den Hochlagen an der Grenze zu Tibet ist der Pilz zu finden. Jährlich ziehen dort in den Sommermonaten Tausende von Sammlern in die Berge und suchen den teuren ‘Bodenschatz’. Obwohl auf dem Weg nach Kathmandu und Hong Kong mehrere Zwischenhändler den größten Profit machen, bleibt für die lokale Bevölkerung noch immer ein beträchtlicher Verdienst: In einem Monat kann eine Familie Yarsa Gumba im Wert von ein- bis zweitausend Dollar sammeln. Das ist mehr, als sehr viele Nepalis in einem Jahr harter Arbeit verdienen. Ein Mann in Meta meinte zu uns: “Ich kann nicht verstehen, warum die Leute nach Qatar gehen zum Arbeiten. Die sollen hier einfach ein Mädchen aus dem Ort heiraten und Yarsa Gumba sammeln. Das bringt mehr Geld!”

Zu viel Schnee von oben und von unten: Umkehr 300m unterhalb des Passes

Zu viel Schnee von oben und von unten: Umkehr 300m unterhalb des Passes

Die letzte Etappe unseres Treks verläuft nicht nach Plan, weil der Kang La seinem Namen alle Ehre macht. Der ‘Schneepass’ ist tief verschneit, wir versinken wir bis zum Bauchnabel im Schnee und können im heftigen Schneetreiben die Route nicht mehr zweifelsfrei ausmachen. So entscheiden wir uns auf 5.000m zur Umkehr, obwohl das nicht leicht fällt, wenn man nur noch dreihundert Meter unter dem Pass ist und schon tausend Meter in den Beinen hat. Der Trek war dennoch einzigartig und anders, und ist sehr zu empfehlen für eine kurze, intensive und eindrückliche Wandererfahrung in tibetisch-nepalischer Kultur und einer Landschaft, die sehr an Mustang erinnert.

Alle Bilder sind hier zu finden.

Posted from Tamghas, Western Region, Nepal.

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