Sternstunden in Kathmandu

Es gibt wohl keine Hauptstadt dieser Welt, in der man besser Sterne beobachten kann als in Kathmandu. Die Milchstraße ist in den meisten Nächten besser zu sehen als die Straße, auf der man nach Hause läuft. Das liegt nicht etwa daran, dass Kathmandu besonders hoch liegt, sondern vielmehr daran, dass es nicht übermäßig viele Straßenlaternen gibt. Und die wenigen, die es gibt, sind zumeist ausgeschaltet, da Nepal ein massives Energieproblem hat. Zu Spitzenzeiten kann nicht einmal die Hälfte des nachgefragten Stroms bereitgestellt werden.

Der offizielle Load Shedding Plan

Der offizielle Load Shedding Plan

In der Trockenzeit bedeutet das bis zu 16 Stunden tägliches Load Shedding, kontrolliertes Abschalten der Elektrizität. Jetzt, Ende Februar, also nach etwa zwei Dritteln der Trockenzeit, fließt in Kathmandu nur noch zwölf Stunden am Tag Strom, zweimal täglich sechs Stunden, jeden Tag zu anderen Zeiten. Immerhin kann man sich eine App der staatlichen Energiebehörde herunterladen, um seinen Tagesablauf nach dem Strom zu planen. Wer kann, betreibt bei “Stromausfall” einen Diesel-Generator oder nutzt sein batteriebetriebenes Notfallsystem. Die weniger reichen sind auf Kerzen und ihre Handy-Taschenlampe angewiesen. Zum Vergleich: In Deutschland fiel 2013 statistisch gesehen je Stromkunde 14,63 Minuten der Strom aus.

Stromgeneratoren stehen vor jedem gutgehenden Geschäft und Restaurant

Stromgeneratoren stehen vor jedem gutgehenden Geschäft und Restaurant

Vor allem wirtschaftlich hat das natürlich schwerwiegende Konsequenzen: Über 60% des importierten Diesels werden vom Industriesektor zur dezentralen Stromerzeugung verwendet. Das ist teuer. Dieselstrom kostet etwa dreimal so viel wie der Strom aus der Steckdose. Nicht unbedingt ein Standort- und Kostenvorteil für die nepalische Wirtschaft. Auch die ökologischen Folgen sind problematisch. Dieselgeneratoren sind dreckig und verpesten die ohnehin schlechte Luft in den Ballungsräumen noch zusätzlich.

In den ländlichen Regionen ist die Situation noch düsterer: Nur etwa 40% der gesamten Bevölkerung hat überhaupt Zugang zu Elektrizität. Glücklich ist, wer wie die Bewohner von Banjhakateri von einem lokalen Micro-Hydro-Kraftwerk profitiert. Diese kleinen Generatoren erzeugen genug Strom, um in jedem angeschlossenen Haushalten zwei bis drei Energiesparlampen zu betreiben, mehr nicht. Deswegen ist in weiten Teilen des Landes Feuerholz nach wie vor der Hauptenergieträger – mit allen negativen Folgen wie Abholzung, Erosion und CO2-Ausstoß. Zudem reduziert der Arbeitsaufwand des täglichen Holzsammelns die ohnehin geringe landwirtschaftliche Produktivität noch weiter.

In Summe stellt elektrischer Strom nur etwa ein Prozent des gesamten nepalischen Energiemixes dar. Der weitaus größte Teil,  über 90 Prozent, kommt aus traditionellen Quellen wie Feuerholz, organischen Abfällen und Tierdung. Die restlichen 8 Prozent werden mit fossilen Brennstoffen wie Öl und Kohle erzeugt.

Das alles müsste eigentlich nicht so sein. Nepal ist nach Brasilien das Land mit den zweitgrößten Süßwasserreserven der Welt. Monsunregenfälle und riesige Gletscher im Himalaya speisen über 6.000 Flüsse, die sich aus dem Hochgebirge in die Gangesebene ergießen. Beste Voraussetzungen also für Strom aus Wasserkraft: das technisch und ökonomisch erschließbare Potential wird auf mehr als 40.000 MW taxiert. Dennoch beträgt die installierte Leistung aus Wasserkraft nur etwa 700 MW. Noch einmal etwa 60 MW werden durch Kohle- oder Gasverstromung erzeugt. Auch hier sind Vergleichszahlen interessant: Alleine die installierte Solarleistung Baden-Württembergs beträgt mehr als 4.000 MW. Während sich in Deutschland rechnerisch tausend Einwohner 2.200 KW teilen, kommen auf die gleich Anzahl Nepalis nur 25 KW. Und in einer weiteren Statistik liegt Nepal ganz hinten: Nur Haiti, Eriträa, Äthiopien, Tansania und die Demokratische Republik Kongo haben einen noch geringeren pro-Kopf Stromverbrauch. Nepal liegt bei etwa einem Achtel des asiatischen und bei weniger als einem Sechzigstel des deutschen Stromverbrauchs pro Einwohner.

Die Gründe für dieses Schlamassel kann man in drei großen Bereiche suchen: Stromerzeugung, Stromübertragung und Stromverteilung.

Zentrale und dezentrale Stromversorgung - Stromleitung und Dieselgenerator

Zentrale und dezentrale Stromversorgung – Stromleitung und Dieselgenerator

Warum nutzt Nepal nutzt nur etwa 2% seines Wasserkraftpotentials? Viele der bestehenden Anlagen sind sogenannte Laufkraftwerke: Wasser wird aus Flüssen ausgeleitet und durch eine Turbine geführt. Vorteil dieses Designs sind relativ geringe Investitionskosten. Der große Nachteil ist jedoch, dass die Stromproduktion in direktem Zusammenhang mit der Menge des Flusswassers steht. In der Trockenzeit laufen viele dieser Kraftwerke daher mit teils erheblich reduzierter Leistung, und nur eine Anlage verfügt über eine “seasonal storage capacity”. Viele private Investoren werden zudem von der Korruption und Misswirtschaft in der staatlichen Energiebehörde Nepal Electricity Authority (NEA), abgeschreckt. NEA kauft den produzierten Strom zu festgelegten Preisen und transportiert und verteilt ihn an die Kunden.

Die Unfähigkeit der Behörde, langfristige Verträge mit Privatinvestoren abzuschließen und anschließend einzuhalten, hat eine große Investitionsunsicherheit zur Folge. Zudem wird häufig die übergroße Abhängigkeit des Landes von der Wasserkraft als Nachteil genannt. Andere regenerative Energieträger werden größtenteils vernachlässigt, und moderne Gaskraftwerke zum Abfedern von Stromspitzen sind nicht in Planung.

Kabelsalat

Kabelsalat

Die Probleme im Bereich Stromübertragung und -verteilung sind nicht minder groß. Das nepalische Leitungsnetz ist völlig unzureichend und hoffnungslos veraltet. Es gibt keine vernünftigen Hochspannungsleitungen in die Nachbarländer. Zudem leidet das Netz an einem überdurchschnittlich hohen Stromverlust: Mehr als 25% des produzierten Stroms gehen zwischen Kraftwerk und zahlendem Verbraucher verloren. Verantwortlich sind marode Niederspannungsleitungen, ineffiziente Verteilerstationen und technische Probleme durch fehlende Wartung. Aber auch nicht-technische Gründe sind relevant: wer kann, besorgt sich einfach Gratisstrom von der Leitung an der Straße.

Auf absehbare Zeit wird es in Nepal eher dunkler als heller. Obwohl viele Wasserkraftprojekte im Bau sind, wird es in den nächsten 10 Jahren durch stark steigende Nachfrage noch mehr Load Shedding geben. Wenn Nepal im Pro-Kopf Stromverbrauch nur zu Bangladesch aufschließen würde, einem ähnlich armen Land auf dem indischen Subkontinent, würde sich die Nachfrage mehr als verdoppeln. Ganz zu schweigen davon, was passiert, wenn die nepalische Mittelschicht anfängt, sich Haushaltsgeräte zu kaufen, statt von Hand zu waschen, putzen und schnippeln.

Trotz allem liegen vor allem in der Wasserkraft riesige ökonomische Potentiale für Nepal. Wasserkraft als Exportgut könnte die nepalische Wirtschaftskraft entscheidend stärken. Mit Indien und China hat das Land zwei riesige, energiehungrige Nachbarn – ein enormes Absatzpotential für sauberen Strom aus Wasser. Damit diese Vision allerdings Realität wird, bedarf es einer Neuaufstellung der staatlichen Energiebehörde NEA und einer Infusion an gesundem Menschenverstand und Wohlwollen auf allen staatlichen Ebenen.  Denn solange dieses Land fest im Griff der korrupten Eliten ist, wird sich kein privater Investor auf Jahrzehnte ins Risiko begeben und Kraftwerke bauen. Höchstens eine Sternwarte für Touristen, in Kathmandu. Mit dem Werbeversprechen: „Der beste Großstadt-Sternenhimmel der Welt“.

 

Quellen

Posted from Kathmandu, Central Region, Nepal.

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