Die kleine große Welt

Von Freiburg nach Bangkok, das ist ein weiter Weg. Was uns während der Reiseplanung (mit dem damaligen Ziel Mumbai) unvorstellbar weit weg erschien, ist in unseren Köpfen jetzt sehr viel näher an unsere Heimat gerückt. Eine weite Strecke zu ‘erfahren’, führt dazu, dass große Distanzen gefühlt kleiner werden und dass fremde Völker einem ‘näher kommen’, weil man ihnen näher gekommen ist.

Eine wichtige, wenn auch auf den ersten Blick banale Erfahrung dieser Reise ist: alle Menschen sind gleich. Was provokativ klingen mag, weil man von einem Reisebericht eigentlich die gegenteilige Aussage erwartet, bezieht sich auf die grundsätzlichen Handlungsmotive aller Menschen. Überall streben die Menschen nach der Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse: Essen, Trinken, ein Dach über dem Kopf, Gesundheit, Frieden, Anerkennung. Das mag immer noch banal klingen und man mag denken, dass wir in Deutschland längst in einer “erweiterten Grundbedürfnisliga” spielen. Doch diese einfache Erkenntnis bedeutet auch, dass kein Mensch, kein Volk, keine Religionsgruppe, als grundsätzlich misstrauenserweckender gelten kann als die andere oder mit “mehr Vorsicht zu genießen ist”. Alle Menschen sind überall in erster Linie mit ihren Grundbedürfnissen beschäftigt. Ich musste Iraner, Kurden, Israelis, Afghanen, Russen, Chinesen (um provokatorisch einige Nationalitäten und Religionsgruppen aus der aktuellen Politikpresse zu nennen) persönlich treffen, um diese einfache Sache wirklich zu verinnerlichen.
Alle Menschen sind gleich – das bedeutet aber auch, dass z.B. viele grundlegenden Dinge per Zeichensprache kommuniziert werden können und dass ein Lachen auf der ganzen Welt gleich wirkt. Auch eine einfache, aber eine tolle Erfahrung.

“Globalisierung rückt die Welt näher zusammen” hört und liest man häufig. Leider nicht physisch, finde ich, wenn ich heute darüber nachdenke. Denn was für den Warenverkehr, den Finanzmarkt, den Informationsfluss, und vieles andere gelten mag, gilt leider nicht physisch für die Menschen. Ob sich Nahrungsmittelspekulationen, der ein oder andere Rüstungsdeal, wirtschaftliche Knebelverträge oder bewaffnete Konflikte verhindern ließen, wenn die Verantwortlichen mit Menschen des entsprechenden Volkes in deren Haus schon einmal gegessen und gelacht hätten – so wie wir es das ein oder andere Mal durften?

Die Hälfte unserer Reise waren wir in muslimischen Ländern unterwegs. Wer Angst vor Muslimen hat – und wir haben erschreckend viele Menschen in vielen Ländern getroffen, die ganz generell Angst vor Muslimen haben – hat meiner Meinung nach noch nicht genügend Muslime kennengelernt. Wer hingegen Angst vor den Folgen von Armut hat, der weiß um die Aussichtslosigkeit, die in manchen Ländern herrscht. Wir haben uns oft darüber gewundert, dass angesichts der schlechten Perspektiven vieler Menschen nicht häufiger Frustration in Gewalt umschlägt und die Perspektivlosigkeit so häufig in Alkohol ertränkt oder einfach im Stillen ertragen wird. In der jungen Generation führt sie in allen Ländern zur gleichen Reaktion: weg hier! Jeder, der das Glück hatte auch nur ein paar Brocken Englisch gelernt zu haben, will nach Amerika oder Europa. Es hinterlässt natürlich einen gefährlichen Boden für noch mehr Frustration bei der übrigen Bevölkerung, wenn viele der cleveren Landsmänner und -frauen ins Ausland flüchten und die, die es im eigenen Land zu etwas gebracht und etwas zu verlieren haben, sich opportunistisch zum herrschenden Regime verhalten.

Spannend auf so einer Reise ist auch zu erfahren, was andere Nationen über das eigene Land und uns Deutsche denken. Insgesamt steht Deutschland im außereuropäischen Ausland sehr hoch im Kurs. Mit absolutem Unverständnis darüber, dass wir als Deutsche ein japanisches Auto fahren, begegneten uns alle Autobegeisterten unterwegs. Mercedes und BMW sind wirklich jedem Kind im hinterletzten Winkel der Welt ein Begriff und deutsche Autos sind überall ein Statussymbol. Meistens kommt dann der erfolgreiche deutsche Fußball und Özil (denn wer kann schon Schweinsteiger aussprechen) zur Sprache. Deutschland wird allgemein mit Qualität assoziiert und nicht selten wird mit dem Label “made in Germany” geworben.
Als Deutscher ist man ein überall willkommener Gast, dem mit Interesse und Respekt begegnet wird. Es tut gut zu spüren, dass man nicht für Deutschlands Nazi-Vergangenheit verurteilt wird. Besonders deutlich haben wir das durch unsere Reisezeit und -freundschaft mit Aya und Idan aus Israel gespürt.

Unsere Generation ist wie keine andere mit den Vor- und Nachteilen der Globalisierung konfrontiert. Seit unserer Abreise sind Länder links und rechts unseres Weges in schwierige Konflikte gestürzt und plötzlich sterben holländische Schulkinder durch den Bürgerkrieg in der Ukraine. Die Welt ist klein. Das Schicksal aller Menschen betrifft uns – gewollt oder ungewollt.
Und so empfinde ich unsere lange Reise rückblickend ein bißchen als meine “emotionale Globalisierung”, etwas, das weder die internationalen Medien noch Weltpressefotos ersetzen können.

In gewisser Weise wird die Welt auch größer auf so einer langen Reise. Wenn ich zurückdenke an den Sonnenaufgang auf dem Mount Nemrut in der Türkei, an den Geschmack der Wasserpfeife unter dem persischen Sternenhimmel in der Caravanserei Zein-o-Din im Iran, die afghanischen Händler auf dem afghanisch-tadschikischen Markt in Ishkashim, das überwältigende Gefühl auf dem Gipfel des Gokyo Ri im Himalaya, das kühle Bier und den Blick in die unendliche Weite der mongolischen Steppe auf der Terrasse der Three Camel Lodge in der Mongolei, die Tischkicker-Nacht mit den Chinesen im Dada-Club in Peking, das Robinson-Crusoe-Gefühl in der traumhaften Bucht Had Tien in Thailand und die vielen anderen Momente, in denen man um eine Ecke biegt und es einem ob des schönen Anblicks plötzlich den Atem verschlägt, dann durchströmt mich das Gefühl von Glück und großer Dankbarkeit, dass ich all dies erleben durfte. Ich schlucke und stelle mir vor wieviele dieser Ecken es noch geben muss und mir wird mehr denn je klar: die Welt ist groß und weit und wunderschön!

[Johanna]

Posted from Bangkok, Bangkok, Thailand.

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