Zwischen Kaspischem Meer, Kasachstan, Usbekistan, Afghanistan und Iran liegt ein Land, das uns weitestgehend unbekannt ist. Turkmenistan besteht zu 95% aus Wüste, zählt 6,7 Mio. Einwohner und sitzt auf immensen Öl- und Gasvorkommen. Wo sich einem unweigerlich der Vergleich mit Dubai aufdrängt, liegt man doch weit daneben. Turkmenistan wird im Human Development Index auf Rang 102 geführt, die arabischen Emirate auf Platz 41. An der Ausstattung mit Ressourcen oder am Klima kann es also nicht liegen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion übernahm ein gewisser Herr Niyazov, amtierender Generalsekretär der Kommunistischen Partei von Turkmenistan, das Land, betrieb geschicktes Re-branding (aus der “Kommunistischen Partei” wurde die “Demokratische Partei” und aus Niyazov wurde “Turkmenbashi”, Führer der Turkmenen) und regierte das Land bis zu seinem Tod im Jahre 2006 in einer lupenreinen Diktatur, die offiziell wohl als “präsidiales Einparteiensystem” bezeichnet wird. Der ambitionierte Jungdiktator schaltete zügig die komplette Opposition aus, reduzierte die Meinungs- und Pressefreiheit durch seinem mächtigen Geheimdienstapparat auf Null und strebte seine Unsterblichkeit durch einen bizarren Personenkult an: “Halk, Watan, Turkmenbashi”, übersetzt “Volk, Nation, ich” – Ähnlichkeiten mit nicht mehr lebenden Diktatoren nicht ausgeschlossen. Im ganzen Land ließ er goldene Statuen von sich aufstellen und machte sein literarisch wohl eher minderwertiges Werk “Ruhnama” zur Pflichtlektüre in allen Lehrplänen. In der Hauptstadt Ashgabat ließ er Viertel um Viertel einreißen, um die Gaseinnahmen des Landes sogleich in Marmorpaläste und weitestgehend sinnfreie Monumente zu investieren. Währenddessen verarmte das Land und hatte bis auf gratis Gas, Wasser, Strom und Salz nicht viel vom ausgerufenen “Goldenen Zeitalter”. Einer der Pläne des großen Führers sah sogar vor, alle Krankenhäuser im Land bis auf eines in Ashgabat zu schließen – Gesundheitsreform mal anders. Nach dem Tod des doch nicht vollständig unsterblichen Niyazov übernahm in guter absurdischer Tradition sein Kronprinz Berdimuhamedow das Präsidentenamt. Er bemüht sich bis heute zwar um einige Reformen, behält aber die Grundlinien der Politik seines Vorgängers bei.
Unsere Route nach Nepal machte eine Stipvisite dieses “exotischsten” aller zentralasiatischen Stans unumgänglich. Viel hatten wir gelesen von den Schwierigkeiten, überhaupt ein Fünftages-Transitvisum zu bekommen. In der turkmenischen Botschaft in Ankara beantragten wir also ein offizielles Einladungsschreiben, um das Transitvisum beantragen zu können. Mit diesem Schreiben in der Tasche und voller Vorfreude war der nächste Schritt im Bürokratiemarathon dann die Organisation des eigentlichen Visums in Teheran. Hier bekamen wir den ersten Vorgeschmack, wie wenig das Regime auf Touristen steht, dazu noch anarchisch-unorganisierte und schwer zu überwachende Individualtouristen. Die könnten sich ja schließlich das Land des “goldene Zeitalters” kritisch anschauen und nicht alles so toll finden, wie es dem turkmenischen Volk in der allgegenwärtigen Staatspropaganda eingetrichtert wird. Die Einreise selbst war dann die konsequente Fortführung der offiziellen Gastfreundschaft. Nach vier Stunden Bespaßung, um eine Erfahrung sowie 27 Stempel auf 17 Dokumenten reicher und erleichtert um 100 USD für verschiedenste bürokratische Dienstleistungen sowie unseren hochgradig illegalen Wasserpfeifen-Tabak, Geschmacksrichtung Apfel, konnten wir dann das gelobte Land betreten.
Das Land, reich an Naturattraktionen und historischen Sehenswürdigkeiten aus besseren Zeiten, konnten wir leider nicht besonders ausgiebig bereisen, da wir nur fünf Tage für den Transit nach Usbekistan hatten und nebenher noch Euros in Dollars in turkmenische Manat tauschen mussten. Da bleibt nicht viel Zeit für Sightseeing, zumal einem durch staatlich festgelegte horrende Preise für heruntergekommene sowjetische Hotels und allerlei anderes Unterhaltungsprogramm der Aufenthalt auch nicht gerade versüßt wird. Fester Bestandteil des staatlichen Entertainments sind zum Beispiel die Heerscharen an Straßenpolizisten, die in Ashgabat an wirklich jeder Straßenecke stehen und für Ruhe und vor allem Ordnung sorgen. Uns wiesen sie beispielsweise darauf hin, dass wir unser Auto zu waschen hätten, da in einer sauberen und fortschrittlichen Stadt dreckige Autos das Stadtbild nur verunreinigen würden. Und Ashgabat ist wirklich sauber, fast schon steril. Vor allem im Regierungsviertel, wo die Prachtboulevards zwischen Monumenten, Palästen und Apartmentblocks jeden Morgen nass gereinigt werden. Nicht zuletzt dank diesem exzentrischen Geschmack in Sachen Architektur und Stadtplanung wird das Erscheinungsbild der Stadt vom Lonely Planet auch sehr treffend als Mischung aus Pjöngjang und Las Vegas beschrieben. Leider wurde im Zuge dessen auch eine der bis dato größten Attraktionen des Landes, der Große Basar von Ashgabat, der als einer der interessantesten und besten ganz Zentralasiens beschrieben wurde, vom fürsorglichen Führer in einem Anfall von Ordnungswahn 30 Kilometer vor die Stadt mitten in die Wüste verlegt, in eine – natürlich – monumentale, sterile Anlage. Dabei ist wenig überraschend nichts vom urspünglichen Charme übriggeblieben – das Ganze wirkt eher wie eine in Marmor manifestierte Hinrichtung.
Außerhalb der Hauptstadt sieht das Land völlig anders aus. Verarmte Dörfer und völlig verlotterte Infrastruktur, in den Städten zerfallende Hinterlassenschaften der UdSSR. Die einzige Autobahn des Landes ist über weite Strecken so marode, dass an zügige Fahrt nicht zu denken ist. Halbmetertiefe Spurrillen und Schlaglöcher lassen vermuten, dass die letzte Brigade, die hier geteert hat, noch Hammer und Sichel auf der Uniform getragen hat. Als Niyasov einmal sein Land bereiste, um ein Stück neugebaute Autobahn zu besichtigen (die wir leider nicht gefunden haben), soll er ein Dorf gesehen haben, dass ihm nicht gefiel, weil es zu heruntergekommen aussah. Also befahl er die Umsiedlung der Bewohner, ließ das gesamte Dorf abreißen und entfernte dessen Namen von allen Landkarten.
Unsere Ausreise aus diesem spannenenden Land gestaltete sich relativ ereignislos, auch dank der persönlichen Intervention eines Grenz-Majors, der zwei Jahre in Magdeburg stationiert war. So mussten wir doch nicht unser gesamtes Gepäck durch den von der amerikanischen Regierung finanzierten Röntgen-Scanner führen und konnten alsbald durch das verminte Niemandsland in Richtung Usbekistan rollen. Wie wir aber leider feststellen mussten, schreibt man auch dort das Wort Bürokratie mit einem großen “B” und legt Wert auf sorgfältigste Prozeduren. Aber das hatten wir eigentlich erwartet, und Fortsetzung folgt bestimmt.
Danke für den wunderbaren Bericht! So können wir zu Hause ein wenig mehr an eurer Reise teilhaben. Gratulation zur schriftstellerischen Fähigkeit, Micha! Lese die Reiseberichte von euch beiden immer wieder, wenn mich hier in Schwenningen der Alltag zu stak in Anspruch nimmt… Alles Gute weiterhin, wir denken viel an euch, Gruß Mama/Christine
Ich bin ebenfalls begeistert und lasse mich von eurem Blog gerne ein wenig von dem ablenken was gerade mein “Alltag” ist und begleite Euch in Gedanken!
Passt gut auf Euch auf…
Erfrischender, und trotzdem kritischer informativer Kurzbericht. Sowas liest man gerne! 🙂
Weiter so, viel Spaß und v.a. spannende Erlebnisse, lg, Stefan
Die schöne neue Welt. So haben wir das gern. Ist nur die Frage wann dessen Stuhl frei wird. stehe als Nachfolger in den Startlöchern.
Grüße aus dem kalten und nassen Villingen
Hallo, das ist ein sehr interessanter Reisebericht. Wenn ich das richtig verstehe habt Ihr in TKM einen Strafzettel bekommen. Mich würde interessieren wie die dort genau aussehen und wie das abläuft. Habt Ihr da ein genaueres Foto? ( Ihr könnt ja Namen/etc. schwärzen)
Wir haben keinen Strafzettel bekommen. Meist kann man sich rausreden bzw. so lange auf Deutsch sagen, dass man kein Russisch kann, bis die Polizisten die Geduld verlieren und einen ohne Strafe weiterschicken.