Es lebe die freie Welt!

Wir wussten schon vor der Abreise, dass unsere geplante Route von Deutschland nach Nepal durch einige ‘unfreiere’ Länder führen würde.

Iran als prominentestes davon ist nach innen repressiv und nach außen provokativ bis feindselig. Als Tourist genießt man aber neben der fantastischen Gastfreundschaft alle Freiheiten, von Schleier und Alkoholkonsum einmal abgesehen, und hat mit dem Staatsapparat nicht viel zu tun.

Die Länder Zentralasiens haben von ihrer Mutter UdSSR den Hang zum Despotismus, florierende Korruption und eine monumentale Bürokratie geerbt. Reisende erleben Bürokratie und Korruption, aber mit beidem kann man sich zähneknirschend arrangieren. Die Visabestimmungen sind streng und die Gebühren hoch, aber mit etwas Geduld wird man auch mit dem eigenen Auto am Ende immer einreisen. Korrupte Polizisten gibt es überall, aber meist funktioniert die Masche ‘Sorry, no Russian’ ziemlich gut. Unzählige Male wurden wir angehalten, manchmal sogar zurecht, aber nur einmal mussten wir zahlen – ein Fünftel der geforderten Strafe, drei Euro.

Der Spaß hört aber auf, wenn die staatliche Paranoia grotesk wird. So in China. Während andere Großmächte Spione und Terroristen im Ausland jagen, steht bei den Chinesen die ‘Homeland Security’ an erster Stelle.

Für den Reisenden im eigenen Fahrzeug, der wohl zu einer besonders gefährlichen Spezies des Staatsfeinds zählt, bedeutet das viel Aufwand, Geld und Ärger. Man darf sich in China als ‘self-drive’-Tourist nicht frei bewegen. Nur in Begleitung eines Guides, auf einer drei Monate vorher festgelegten und genehmigten Route und ausgestattet mit chinesischem Führerschein, chinesischen Nummernschildern und jeder Menge Permits kann man durch das Reich der Mitte fahren.

Billig ist dieser Spaß natürlich nicht, da sich alle Beteiligten, Behörden wie Reiseagenturen, ihre ‘Services’ fürstlich bezahlen lassen. So kann man im Schnitt mit etwa 100 bis 250 Euro pro Reisetag rechnen, je nach Gruppengröße und Region, die man bereisen möchte, ohne Unterkunft, Verpflegung, Sprit und Strassengebühren versteht sich. Gerüchten zufolge darf man aber selbst am Steuer sitzen und muss Pinkelpausen nicht in dreifacher Ausfertigung schriftlich beantragen.

Wenn man den inneren Schweinehund einmal überwunden hat und bereit ist, die Kohle auf den Tisch zu legen, ist aber leider noch lange nicht garantiert, dass man das Land auch bereisen darf. Da gibt es einerseits die ständige Gefahr, dass nach ‘terroristischen’ Aktionen irgendwo in China für ganze Landstriche keine Genehmigungen zur Durchreise mehr erteilt werden. Andererseits besteht das Risiko, dass sich die Bestimmungen urplötzlich ändern, und man von einem Tag auf den anderen entweder überhaupt nicht mehr mit dem Auto einreisen darf, oder aber für gewisse Highways, zum Beispiel alle nach Tibet hinein, keine Permits mehr erteilt werden.

Ersteres passierte uns im November vergangenen Jahres, letzteres vor ein paar Tagen. Die Unannehmlichkeiten dieser Situationen sind vielfältig. Viel Planung und Vorfreude sind plötzlich dahin, Geld und Zeit für Visabeantragung futsch. Und dann gibt es noch das Problem der Weiterreise. Die Lage von Kirgistan, mitten auf dem asiatischen Kontinent, fernab von Häfen, ohne vernünftige Flugverbindungen und umringt von visahungrigen Nachbarn, macht die B-Planung nicht einfacher.

Die nette Dame aus einem hiesigen Reisebüro empfahl uns einen Blick auf Nikolai Przewalski, den großen russischen Abenteurer aus dem 19. Jahrhundert. Er hatte viermal versucht, Lhasa zu bereisen, und wurde immer aufgehalten und abgewiesen. Am Ende schaffte er es nicht, er starb auf dem Weg nach China an Typhus. Wir sind voll durchgeimpft und daher guter Dinge, dass wir es irgendwann irgendwie über die Grenze schaffen.

Wir werden uns also die Suppe von den chinesischen Behörden nicht versalzen lassen – und aller guten Dinge sind bekanntermaßen drei. Nachdem wir iterativ, rekursiv und kombinativ alle Möglichkeiten von Weiterreise und Heimreise durchgespielt haben und in der Planungsversionierung bis zum Buchstaben X gelangt sind, haben wir nun doch noch eine Möglichkeit gefunden, aus der zentralkontinentalen Sackgasse Kirgistan weiterzureisen.

Eine bunte Gruppe von drei Fahrzeugen fährt Anfang Juli von der Mongolei über China nach Laos. Wie es momentan aussieht, können wir uns dieser Gruppe anschließen. Wir werden dann zwar weniger Zeit als geplant in Südostasien haben, dafür aber einige andere spannende Landstriche bereisen und sogar die Chinesische Mauer sehen. Wenn das klappt, würden wir nicht nur einen persönlichen Sieg gegen die chinesische Bürokratie davontragen, sondern auch eine Menge Geld sparen, da sich viele der Kosten für den Transit auf vier Autos aufteilen würden.

Doch der Weg von Kirgistan in die Mongolei ist weit, und vor das Vergnügen haben die Post-UdSSR-Behörden das Visum gestellt. Auf der Reise von hier nach Laos brauchen wir vier davon: in Kasachstan, Russland, der Mongolei und China.

Für das chinesische Visum sind wir inzwischen Experten – ist immerhin schon das dritte. Das kasachische Visum bekommt man in Bishkek ohne weitere Probleme. Selbst das mongolische gibt es in Irkutsk anscheinend schnell und relativ unkompliziert.

Daher bereitet uns momentan das russische die größten Bauchschmerzen. Seit einem halben Jahr kann man es eigentlich nur noch in seinem Heimatland beantragen. Wenn man in Zentralasien festhängt, gibt es nur zeit- und kostenintensive ‘workarounds’, die ein Dreimonatsvisum im Land der Beantragung des russischen Visas voraussetzen. Zur Illustration hier die drei Varianten, die wir momentan abwägen.

Variante 1:
– Einladungsschreiben zur Beantragung eines kasachischen 90-Tage triple-entry Business Visum (100 USD, 2-3 Tage)
– Kasachisches 90-Tage triple-entry Business Visum (100-200 USD, 4 Tage)
– Einladungsschreiben zur Beantragung des russischen Visum in Kasachstan (17 USD, 15 Minuten)
– Russisches 30-Tage single-entry fast-track Touristenvisum (105 USD, 1 Tag wenn es wahr ist, unklar, ob es gewährt wird)

Variante 2:
– Beantragung eines 90-Tage Visums für das visafreie Kirgistan (Preis unklar, bis zu 10 Tage)
– Einladungsschreiben zur Beantragung des russischen Visum in Kirgistan (17 USD, 15 Minuten)
– Russisches 30-Tage single-entry fast-track Touristenvisum (105 USD, 1 Tag wenn es wahr ist)

Variante 3:
– Pässe nach Deutschland zu businessvisum.de fedexen (ca. 45 USD, eine Woche)
– Visa-Komplettservice von businessvisum.de (ca. 120 EUR, eine Woche)
– Pässe zurück nach Bishkek fedexen lassen (ca. 35 EUR, eine Woche)

Alle drei Varianten dauern mindestens 14 Tage, sind sauteuer und haben einen ungewissen Ausgang. Wir erwägen momentan Variante zwei mit potentieller Beschleunigung des Kirgistan-Visums durch hohe zweistellige Dollarbeträge für den Sachbearbeiter.

Ausserdem hassen wir inzwischen bereits das Wort ‘Visum’. Wir werden uns aber nicht kleinkriegen lassen durch diesen völlig sinnfreien Papierkrieg.

Freiheit ist ein hohes Gut. Wir können dankbar für das sein, was uns Europa bietet und sollten alles dafür tun, dass die Zukunft noch freier wird!

UPDATE 26.05.2014: Reise-Pässe
Während wir die 2000km von Bishkek nach Astana fuhren, reisten unsere Pässe mit DHL über Brüssel nach Frankfurt und über London weiter nach Astana. Und so halten wir, 14 Tage nachdem wir uns für Variante 3 entschieden haben, in der deutschen Botschaft Astana unsere Pässe mit russischem Visum in der Hand. Die nette Frau Attaché stellt uns zudem noch eine Bescheinigung aus, damit die russischen Grenzbeamten sich nicht querstellen, weil wir mit Pass 1 aus Kasachstan aus- und mit Pass 2 nach Russland einreisen. Es lebe die westliche Servicekultur, Logistik und Effizienz!

3 thoughts on “Es lebe die freie Welt!

  1. Was für ein kriminell-kafkaeskes Szenario. Vielen Dank für die fantastische Schilderung dieser elenden Misere und alles Glück, das ihr braucht!
    Kr.

  2. Dieses Glück wünsche ich euch auch!! Ich bewundere eure Energie, mit der ihr immer wieder neue Wege ausklügelt und geduldig auf Erfolg wartet. Diese Art, ´Gelder einzutreiben` ist schon krass… Passt gut auf euch auf, viel Erfolg bei irgendeinder Variante!
    Chr. Kg

  3. Danke, dass du uns die rosarote Brille abnimmst und den ganzen Irrsinn der Bürokratie und des Mißtrauens aufzeigst. Dein spannender Bericht ruft auch das Gut der Freiheit und deren Fragilität wach. Alles alles Gute für euch auf dem langen Weg, nach Hause. Martina

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