Schon der Name ist Mythos. Mount Everest, in Nepal Sagarmatha und in Tibet Chomolungma genannt. 8.848 Meter hoch. Vermessen 1852, erstbestiegen 1953. Nur 30% der Gipfelversuche waren erfolgreich. 2% der Versuche endeten tödlich.
Das Dach der Welt, zumindest die Südseite davon, liegt in Solukhumbu, einem Distrikt nordöstlich der Hauptstadt Nepals an der Grenze zu Tibet, der Heimat der Sherpas. Wir wollen uns ein Bild machen von dieser wahrscheinlich berühmtesten Ecke des Landes und nehmen uns zwei Wochen Zeit zum Trekken.
Bereits die Anreise ist spannend. Mit einer Twin Otter von Tara Air geht es frühmorgens von Kathmandu nach Lukla. Diese kleinen robusten Maschinen sind gebaut für die etwas anderen Starts und Landungen. Im afrikanischen Busch, in der Wildnis Alaskas oder in Lukla: mit 460 Metern Länge und 12% Gefälle ist dieser Flugplatz einer der anspruchsvolleren und hat eine entsprechend interessante Unfallstatistik. Aber Statistiken sind nur Statistiken, und wir haben keine Lust und Zeit, den fünftägigen Fußmarsch von Jiri nach Lukla auf uns zu nehmen. Der Flug bleibt glücklicherweise angenehm ereignislos und bietet einen großartigen Vorgeschmack auf die kommenden Wochen: Weiße Riesen bis zum Horizont!
Von Lukla aus nehmen wir uns zwei Tage, um nach Namche Bazaar zu laufen, der Sherpahaupstadt auf 3.400 Metern. Der Weg führt entlang des Dudh Kosi, des Milchflusses, durch kleine Dörfer, vorbei an Maultier- und Yakkarawanen, über Hängebrücken und durch Rhododendronwälder. Neben dem deutlich sichtbaren Tourismus ist Ackerbau und Viehzucht hier zweite Quelle des Lebensunterhaltes.
Oberhalb von Namche Bazaar wird es spürbar alpin. Hinter jeder Wegkehre eine grandiosere Sicht auf die Hochgebirgswelt des Himalaya. Der erste Blick auf den Mt. Everest! Aber Ama Dablam, Kangtega und Cholatse sind nicht minder beeindruckend. Die Vegetation ist karg, bisweilen erinnert die Landschaft an eine Hochgebirgswüste. Wir haben Glück und stellen fest, dass wir kurz vor der Hauptsaison unterwegs sind. Kaum Touristen, die Teahouses sind leer, manchmal sind wir die einzigen Gäste.
Konstante Wegbegleiter sind die Träger, hauptsächlich Männer aus den Volksgruppen der Tamang und Rai aus niedriger gelegenen Regionen, die für einen Festpreis Ladungen nach oben tragen. Zwischen Lukla und Namche gibt es pro Kilometer und Kilogramm etwas mehr als eine Rupie, weniger als einen Cent. Starke Träger können hier dennoch an einem Tag bis zu 15 USD verdienen. Dazu müssen sie allerdings 60kg Last mehr als 21km weit und 1000m hoch schleppen. Für diesen überdurchschnittlichen Lohn setzen sie leider auch ihre Gesundheit überdurchschnittlich stark aufs Spiel. Wie es weiter oben mit dem Lohn aussieht, und ob es für das Everest Basecamp Erfolgsprämien gibt, haben wir leider nicht in Erfahrung gebracht.
Wir folgen den empfohlenen Akklimatisierungsplänen genau. Über 3.000m droht die Höhenkrankheit. Wer sich nicht akklimatisiert, hat spätestens ab 5.000m ernsthafte Probleme. Wir haben gelesen, dass jedes Jahr ein paar Trekker sterben, weil sie zu schnell aufsteigen. Hinter den Abkürzungen HACE und HAPE verbergen sich die tödlichen Syndrome des Gehirn- und Lungenödems. Akklimatisieren ist glücklicherweise einfach und angenehm: Man muss lediglich an gewissen Orten zwei Nächte bleiben, um die maximale Aufstiegshöhe pro Zeiteinheit nicht zu überschreiten. In Namche vertreiben wir uns die Zeit mit einem Ausflug ins Kloster von Khumjung, um den berühmten Yetischädel zu besichtigen. In Dingboche nutzen wir die zweite “Ruhephase” für einen Aufstieg auf den Nangkartshenga, der erste Khumbu-5.000er und Aussichtspunkt über die vergletscherte Welt zwischen Lhotse, Makalu und Ama Dablam.
Ab Dingboche befinden wir uns im absoluten Hochgebirge. Die letzten Kartoffelfelder liegen hinter uns. Wir sind über der Baumgrenze. Einsame Ansammlungen von Chortens zeugen von der Vergänglichkeit des Lebens: mit Gebetsfahnen geschmückte Steinhäufen, aufgestellt im Gedächtnis an Bergsteiger, die auf dem Berg geblieben sind. Der Weg führt entlang von Moränen, die die einstige Mächtigkeit der Gletscher dokumentieren.
In Gorak Shep liegt die höchste Siedlung unseres Treks auf über 5.100m Höhe. Von hier aus kraxeln wir auf den Kala Patthar, tourismuswirksam als “Top of the World” vermarktet. Der Ausblick auf Pumori, Nuptse und Everest ist atemberaubend, die Achttausender sind zum Greifen nah. Am nächsten Tag machen wir uns ins Basecamp des Everest auf. Ein Climbing-Sherpa auf gleichem Wege führt uns ein wenig in die Expeditionswelt ein. Er wird für zwei Monate im Zelt auf dem Khumbu-Gletscher auf über 5.300m leben und eine Gruppe von Argentiniern großzügig mit Tee und Sauerstoff versorgen, damit diese einmal auf dem höchsten Berg der Welt stehen. Er wird für diesen Job mehr als nur einmal sein Leben aufs Spiel setzen und am Ende der Saison um rund 5.000 USD reicher sein. Für Nepal viel Geld, aber für ein Leben?
Unser zweites Ziel liegt ein Tal weiter. Die fünf Gokyo-Seen und der Gokyo Ri. Der kürzeste Weg führt über den Cho La, ein 5.500 Meter hoher Paß. Jetzt im März sind wir nicht sicher, ob er offen ist. Trotz großer Bemühung finden wir niemanden, der ihn in den letzten Tag überschritten hat. Und im Gegenteil erzählen uns die Guides in den Lodges Horrorgeschichten. So entscheiden wir uns für einen höhenmeterlastigen 40km langen Umweg, “unten rum”, über Phorche. Nachträglich stellt sich leider heraus, dass der Paß sehr wohl begehbar war, ganz ohne Steigeisen, Seil und Eisgeräte, und wieder einmal erweisen sich Nepalis leider als große Gerüchteschleudern.
Der Umweg ist aber lohnend, da wir durch weitaus weniger touristisch erschlossenes, fast schon “ursprüngliches” Gebiet kommen. Und in Gokyo angekommen sind wir ohnehin versöhnt mit der Welt: strahlender Sonnenschein, 20cm Neuschnee und zwei Stunden anstrengender Aufstieg auf den 5.360m hohen Gokyo Ri bescheren uns ein 360-Grad Traumpanorama über die Hochgebirgswelt, auf den längsten Gletscher Nepals und bis weit hinein nach Tibet. Unvergessliche Momente zwischen bunten Gebetsfahnen.
Zwei Tage später sind wir wieder in Lukla, bereit für den Flug zurück in die Zivilisation. Der fällt aber wegen schlechten Wetters aus. Als uns am zweiten Standby-Tag das gleiche Schicksal droht, entscheiden wir uns für den Heli-Flug. Gegen einen geringen Aufpreis kommen wir so in den Genuß eines weiteren Höhepunkts – Nepal aus der Vogelperspektive.
Das Terrain, das wir so mühelos überfliegen, kommt uns aus Banjhakateri nur zu bekannt vor, und wir müssen darüber nachdenken, wie mühevoll und schweißtreibend das Leben und Fortkommen für die Bewohner dieser Dörfer ist, die alleine durch ihre Geburt weniger privilegiert sind als wir Erstwelt-Touristen. Die Ungleichheit ist bedrückend greifbar.
Nach 50 Minuten Flug hat uns die warme und staubige Realität Kathmandus wieder. In 14 Tagen sind wir ca. 160km gewandert, haben drei Fünftausender bestiegen und dabei fast 7.000 Höhenmeter überwunden.
Wir wünschen viel Spass mit den Bildern!
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